Die Tierwaage in meiner Praxis
Seit ungefähr einem Jahr steht in der Praxis eine Waage. Angeschafft habe ich sie, weil sie ja irgendwie mit dazu gehört (auch wenn wir hier 4 Jahre sehr gut ohne ausgekommen sind).
Ich höre es, sie steht im Vorraum vor meiner Praxis, wenn die Kunden die Hunde darauf setzen. Und sehr, sehr oft in letzter Zeit kommen sie mit einem sehr ernüchterten Gesichtsausdruck in die Praxis.
Fast immer, wenn wir uns schon eingangs in der Anamnese über das Gewicht des Hundes unterhalten haben, frage ich dann wie es läuft mit der Gewichtsreduktion. „Eigentlich ganz gut.“, höre ich dann meisten. „Was hat die Waage denn gesagt?“ Und dann kommt wirklich oft die Frage ob das Ding neue Batterien braucht oder richtig geht.
Gewicht ist bei vielen Hunden gar kein Problem. Ich sehe figürlich gute Hunde, ja auch mit viel Fell, hier in der Praxis. Aber leider auch sehr viele Übergewichtige. Das rangiert von „Könnte ein Kilo weniger haben“ bis zu „10-x kg weniger“. Was bei einem Menschen schon nicht gut ist, ist prozentual bei einem Hund noch schlimmer. Jedes Kilo zu viel raubt unseren Hunden Lebenszeit. Meistens trifft es auch noch die Hunde, die sowieso körperlich schon ein Defizit haben.
Um ein paar Beispiele (übertrieben und auch wahr zu nennen):
Labrador, weiblich, kastriert, 8 Jahre, ca. 55 cm Rückenhöhe 48 kg (Hüftdysplasie und mit 4 Jahren operierte, einseitige Ellbogendysplasie)
Boxer, männlich, kastriert, 4 Jahre, Ellbogendyspasie, ca 60cm Schulterhöhe, 51kg
Malteser (mix?), 3 Jahre, weiblich,Hüftdysplasie, Patellalux grad 1-2, mit 30cm über dem Rassestandard, 8-9kg
Goldiemix, 3 Jahre, männlich, kastriert, ca. 65cm, 50 kg, bisher noch nicht auffällig
Hunde kompensieren sehr lange! Nicht nur Übergwicht, sondern auch damit verbundene Schmerzen. Gibt es vorher schon Probleme wie zb. Rassedispositonen (Rassetypische Erkrankungen) oder ein ungünstiger Körperbau, die im schlanken Hund vielleicht nie oder sehr spät aufgetreten wären, liegt die Wahrscheinlichkeit, dass der Übergewichtige Hund daran erkrankt viel höher. Mal abgesehen von den Rassetypischen Erkrankungen, wird es wahrscheinlich auch früher Spondylosen, also eine Verknöcherung der Wirbelsäule gebe, da der Körper versucht den Rücken unbeweglicher zu machen.
Als Rassedispositionen bezeichnet man die Veranlagung einer Rasse, bestimmte Krankheiten aus zu bilden. Neben den sehr „bekannten“ Problemen, gibt es auch viele versteckte Dinge (auf die ich nicht eingehen möchte).
Ich fasse mal „überspitzt“ zusammen, was aber leider häufig in der Praxis zu sehen ist (unabhängig vom Gewicht):
„Kleine Hunde haben immer Kniescheibe“ – Patellaluxationen, also das nach innen oder außen springen der Kniescheibe (Patella) ist in kleinen Hunderassen aufgrund ihres Körperbaus tatsächlich oft ein Problem.
„Labradore/Goldis haben es immer an der Hüfte und/oder den Ellbogen“ – Tatsächlich habe ich deutlich mehr Hütehunde mit Hüftproblemen. Ich habe einige Retriever mit Kreuzbandrissen in den letzten Jahren begleitet.
„Dackel haben immer Bandscheibe.“ – Ich hoffe sie haben Bandscheiben. Scherz beiseite. Hier im Rheinland ist damit oft gemeint dass die Hunde einen Bandscheibenvorfall haben. Ja, haben Dackel tatsächlich öfter. Aber ich hatte auch schon Bernersennenhunde mit den gleichen Problemen.
Mal abgesehen von den Rassetypischen Erkrankungen, wird es wahrscheinlich auch früher Spondylosen, also eine Verknöcherung der Wirbelsäule geben, da der Körper versucht den Rücken unbeweglicher zu machen. Ganz zu schweige von den Arthrosen (Verkalkungen) in den Gelenken.
Und warum erzähle ich das?
Jetzt muss man sich vorstellen, dass diese Hunde neben ihren körperlichen Problemen auch noch übergewichtig sind. Jeder der einmal einen Hexenschuss hatte, weiß wie weh das tun kann. Und jetzt muss man sich vorstellen man schleppt zusätzlich im Vierfüßerstand noch 30 kg mehr mit sich herum in einem Rucksack. Das ist keine angenehme Vorstellung.
Ja, sicher, scheint übertrieben. Aber es ist Realität. Gerade seit diesem Jahr fällt es mir wieder vermehrt auf. Und dann gilt es heraus zu finden woran es liegt. Ich muss gestehen ich glaube schon lange nicht mehr an „der Hund frisst aber nur wenn er hunger hat“ oder „nein, er/sie bekommt zwischendurch gar nichts“.
in 95% der Fällen gibt es IMMER eine EIGENTLICH in diesen Sätzen.
Klammern wir mal aus, dass es Erkrankungen oder Medikamente gibt, die die Fettleibigkeit begünstigen.
Hunde können im Normalfall die Hundefutterboxen oder Kühlschränke nicht alleine auf machen. Oft sind es Mehrpersonenhaushalte in denen die Hunde leben. Heißt, selbst wenn Frauchen es sehr gut im Griff hat, dass es NUR das es metabolische Futter gibt, dass der Tierarzt/Ernährungsberater verschrieben hat. Es gibt noch Herrchen, Oma, Opa, zwei Kinder, den Nachbarn, die nette Spaziergehmenschen und Besitzer der Spielfreunde des Hundes. Wenn jetzt jeder dem Hund ein paar Kekse zusteckt über den Tag… hat der Hund geschätzt 50-100g mehr bekommen. Sagen wir im Durschschnitt sind es nur 50 g (–> wiegen Sie die 50 g mal ab!).
Auf eine Woche sind das 7 x 50g = 350 g, auf einen Monat 350g x 4 (wir bleiben beim Schätzen) =1400g … aufs Jahr, also 1400g x 12= 16,8kg
Also eigentlich (da ist das Wort wieder), kann man das so stehen lassen.
16,8 kg FUTTER im Jahr.
Haben Sie das sacken lassen?
Ich glaube so viel mehr muss ich dazu gar nicht mehr sagen.
50g Futter „zu viel“ am Tag sind 16,8kg Futter im Jahr zu viel. Zusätzlich zu den „normalen“ Portionen, die der Hund am Tag bekommt (und die sind oft schon zu hoch angesetzt).
Ok, ich muss doch noch etwas dazu sagen. Ich weiß, dass niemand seinen Hund (zumindest hoffe ich das) extra übergewichtig füttert. ABER! Wir öffnen den Kühlschrank und wir öffnen die Keksdosen. Wir lassen zu, dass jeder etwas in den Hund steckt.
Bitte!! Denken daran, dass jedes Kilo zu viel ihren Hund Lebenszeit kostet. Vielleicht, oder auch sehr wahrscheinlich, verbunden mit Schmerzen.
Ich habe die Ernährungsberatung aus meiner Praxis gestrichen. Einfach weil ich endlosdiskussionen über „eigentlich bekommt er sonst nichts“ nicht mehr hören kann. Ich kann unterstützen oder kann auch gerne jemanden empfehlen, wenn wir uns hier in der Anamnese unterhalten. Ausführende Kraft ist aber IMMER der Mensch.
Schnelle Tips um zu überprüfen was am Tag so in den Hund wandert:
Alle (!!) Familienmitglieder legt einen Tag jeden Keks, jedes Stück Salami und jede Toastkruste die in den Hund wandert, in der gleichen Menge noch einmal in einen Becher oder einen Napf. Da müssen aber wirklich alle mitziehen. Es kommen Dinge zusammen… viele. Abends kann man sich das Wunderwerk anschauen und vergleichen, was der Hund eigentlich an Menge bekommen sollte.
Ein Ernährungstagebuch führen. Wer gerne Dinge aufschreibt, ist damit wahrscheinlich gut bedient. DAs geht ja auch am Handy, in einer Notizapp, die vielleicht sogar mit den Familienmitgliedern teilbar ist.
Morgens abmessen was der Hund am Tag bekommen darf. Und es wird sich einen einen Tag lang NUR aus dieser Schüssel bedient. Ist sie leer, ist das Futter des Hundes für diesen Tag aufgebraucht.
Bei allen Methoden müssen die lieben Hundebesitzer ehrlich mit sich selbst sein. Ich kann mich davon nicht freisprechen. Ich verbrauche momentan jede Menge Probenbeutel eines Sponsors. Als ich den Artikel schrieb und bei den 16,8kg im Jahr ankam, dachte ich das musst du wiegen… und es war deutlich mehr als gedacht: Wow und gestern hast du an jeden Hund einen Beutel verfüttert während dem Fitnesstrainings.
Wir gehen dann gleich noch eine extra Runde an die Fitness 😉 Ich persönlich muss sagen, ich füttere sehr reduziert, einfach weil meine Hunde über den Tag hinweg viele kleine Einheiten „verklickern“ oder „vertrainieren“. Und ich gebe auch sehr gerne Knabberzeug. Also muss ich auch das von der normalen Portion abziehen.
Und ja: Nicht JEDER Hund ist zu dick. Aber auch Welpen und Möpse sollten eine Taille haben. Babyspeck ist NICHT inn. Auch mit Barf können Hunde dick werden. Nicht jedes Metacolic/Diätfutter ist für jeden Hund geeignet. Kein Hund ist je vor einem vollen Napf verhungert.
Und auch wenns kein Dackel ist: Den Dackelblick kann jeder Hund 😉
16,8kg Futter im Jahr bei 50g zusätzlich am Tag… irre!
Unter dem google Wort „Body Condition Score Hund/dog“ oder „Gewichtschart Hund“ findet man bei vielen Futtermittelherstellern oder Tierarztkollegen Bilder mit Erklärungen wie man erkennen kann ob der eigene Hund zu dick ist. Oder man fragt das nette Physiopraxispersonal 😉